Ornament und
Abstraktion
Beate Kuhns neue Bilder sind Teil eines künstlerischen Prozesses, der sich entlang der Versinnlichung des Geistigen entwickelt. Was sie mit ihren früheren Installationen (etwa im Projekt
"Hafermagazin", Landau 1997) begann, nimmt seine Fortsetzung nun in der zweidimensionalen Fläche des Bildes.
In den
jüngsten Arbeiten finden sich inmitten flächig strukturierter Farbräume immer wieder nahezu abstrakt erscheinende, dennoch deutlich erkennbare Natur- bzw. Pflanzenformen. Die stilisierten
naturalistischen Elemente wirken wie monumentale Fremdkörper in einer malerisch aufgebauten Umgebung, die weitgehend durch lasierend aufgetragene Farbschichten vertikal und horizontal organisiert
wird.
Der Begriff "Urform" oder auch "Zeichen" stellt sich ein - denn nicht üppig wucherndes Wachstum, sondern reduzierte, dennoch
organische Beschaffenheit prägt die stilisierten Anklänge an die berühmten Pflanzenfotografien eines Karl Blossfeld oder Erich Häckel. In "Dutch Rushpiece" etwa verleiht der obere Teil eines
seitlich leicht angeschnittenen Schachtelhalms am linken Bildrand der Arbeit einen beinahe surrealen Charakter durch die ungewohnte Nahsicht eines in der Natur nur wenige Zentimeter hohen
Pflanzenstengels.
Der überraschende Anblick des aus einer dünnen, senkrechten Grundform stockwerkartig aufgebauten Halms macht zugleich das
konstruktive Prinzip der Naturform bewusst, das sich in der ebenfalls vertikal angelegten Abfolge der Farbfelder des übrigen Bildes fortsetzt. Dieses wie auch weitere illusionistisch gemalte
Zitate nach der Natur heben sich ab von ihrer Umgebung aus sich überlagernden, partiell transparenten Farbflächen, die eine eigene Tiefenwirkung entfalten durch die Art und Weise, wie Beate Kuhn
mit der Farbe umgeht. So malt sie auf die Leinwand mit teilweise in Wachs gelösten Pigmenten. Diese Technik, die gleichberechtigt neben dem Einsatz von Temperafarben steht, verleiht den Arbeiten
einen ganz besonderen Oberflächenreiz, der sich aus dem Wechsel von lichtabsorbierenden, stumpfen Partien und durchschimmernden, tiefer gelegenen Farbschichten ergibt.
Auch in ihren kleinformatigen Bildern spielt das Verhältnis von Naturform und Abstraktion eine wesentliche Rolle. Hier erzielt die
Malerin durch den Einsatz verschiedener Stempel ornamentale Wirkungen, indem sie die Farbe mit vorgefertigten oder selbstgeschnittenen Stempeln musterartig in Spiralen oder Reihen, zentriert oder
gleichmäßig über den andersfarbigen Bildgrund verteilt. Manche Stempelformen erweisen sich dabei als lesbare Zeichen, so erscheinen in einigen Bildern z.B. Ziffern ornamenthaft in die Fläche
gesetzt. Besonders auffallend ist die horizontal eingefügte Acht, die zugleich das Symbol für Unendlichkeit bildet und damit als Form und Idee die denkbare, ebenso unendliche Wiederholung
berührt, die dem Ornament als gestalterischem Prinzip innewohnt.
Das Spiel der Muster, in das auch einzelne Worte miteinbezogen sein können, wird noch gesteigert, wenn der Bildgrund seinerseits
ein erst auf den zweiten Blick erkennbares, eigenes "Muster" freigibt: Beate Kuhn verwendet in einigen Bildern Landkartenausschnitte, deren grafische Gestaltung aus verschiedenfarbigen Linien,
Kreisen und Zeichen die Wirklichkeit einer Landschaft mit Straßen, Flüssen und Orten in ein abstraktes Orientierungssystem übersetzt. Die malerische Bearbeitung des Kartenmaterials, durch die der
spezifisch ornamenthafte Aspekt der topografischen Abstraktion sinnfällig wird, umschließt zugleich die Möglichkeit einer ästhetisch aufgehobenen, persönlichen Erinnerung an die reale Landschaft,
die durch die Karte zeichenhaft verkürzt wird.
Das Miteinander aus reinen Ornamenten, sinnhaften Zeichen und formal abstrakter Farbfeldmalerei zielt auf eine Auseinandersetzung
mit den verschiedenen Möglichkeiten der Abstraktion, die sich immer wieder aus dekorativen Funktionen, wie sie im Ornament zweifellos vorhanden sind, zu lösen vermag, um stattdessen autonomen
Ausdruckscharakter zu erlangen. Die Ansätze zu dieser Auseinandersetzung liegen bekanntlich am Beginn des 20. Jahrhunderts, doch hat die Fragestellung als künstlerisches Problem bis heute nichts
von ihrer Bedeutung verloren.
Dr. Dorothee Höfert, Kunsthistorikerin an der Kunsthalle Mannheim
ornament and abstraction
(shortened version)
Beate Kuhns new paintings are part of an
artistic process which is developping along the sensualization of the spiritual.
What she started in earlier installations (as for example "project Hafermagazin"/Landau), is now continuing in the twodimensionality of the painting.
In her latest works one finds nearly abstract, nevertheless clearly recognizable natural forms within flatly structured coloured spaces. The stylized naturalistic elements appear as monumental
alien bodies within a scenically constructed environment that is mainly structured by vertically and horizontally applied layers of paint.
The terms "prototype" or "sign" appear, for not rampant vegetation, but reduced and still organic consistence mark the stilistic echoes of Karl Blossfeldts or Erich Häckels photographies of
plants and vegetation. In "Dutch Rush Piece" for example the upper part of the dutch rush plant, cut on the left side of the painting, gives a nearly surreal character to the work through the
unusual close view of a plants´stem that is normally only a few centimetres high.
The surprising aspect of a stalk that is built like a storeyed building thin and vertical reveals at the same time the principle of construction of the natural form, which is also continuing the
vertical succession of coloured fields in the rest of the painting.
This as well as other naturalistic quotes of nature stand out from their surrounding as partly transparent layers of paint overlying one another, unfolding a certain depth through the way Beate
Kuhn is working with colour.
She paints on canvas with pigments that are partly dissolved in wax. This technique, which is used parallel to the tempera-technique, gives a certain stimulation of the surface to the work that
reveals itself through the change from light-absorbant, dull parts to shimmering deeper layers of paint.
(...)
Dr. Dorothee Höfert, Kunsthalle Mannheim